Wir feiern den vierten Sonntag der Osterzeit. An diesem Sonntag lesen wir jedes Jahr einen Abschnitt aus dem 10. Kapitel des Johannesevangeliums, in dem sich Jesus in einem Gleichnis als der gute Hirte vorstellt. Aus diesem Grund wird dieser Sonntag auch als „Sonntag des Guten Hirten“ bezeichnet.

Der Gute, Schöne und Starke Hirte

Niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Johannes 10,27–30

Wir feiern den vierten Sonntag der Osterzeit. An diesem Sonntag lesen wir jedes Jahr einen Abschnitt aus dem 10. Kapitel des Johannesevangeliums, in dem sich Jesus in einem Gleichnis als der gute Hirte vorstellt. Aus diesem Grund wird dieser Sonntag auch als „Sonntag des Guten Hirten“ bezeichnet.

1. Der GUTE Hirte

Das Bild des Hirten erfordert vor allem die Bereitschaft, sich in eine Wirklichkeit einer anderen Zeit hineinzuversetzen, um die Botschaft Jesu zu verstehen. Denn heute will niemand mehr eine „Schaf“ sein oder zu einer „Herde“ gehören – auch wenn wir es leider sehr wohl sind! Nur heißen „Hirten“, „Schafe“ und „Herden“ heute anders: Führungspersönlichkeiten, Sportidole, Mediengurus, Influencer, Fans, Anhänger, Populisten…

Doch hier geht es um einen seltsamen Hirten, denn niemand würde sein Leben für ein Schaf geben. Und mehr noch: Der Hirte selbst wird zum Lamm und wird zur Nahrung seiner Herde: „Das Lamm, das in der Mitte des Thrones steht, wird ihr Hirte sein und sie zu den Quellen des Lebenswassers führen (Offb 7, zweite Lesung).

Gleichzeitig mit dem Evangelium vom „Guten Hirten“ wird heute der Weltgebetstag um geistliche Berufungen gefeiert, der 1964 von Paul VI. eingeführt wurde. Das diesjährige Thema, das Papst Franziskus (der die Botschaft am 19. März im Krankenhaus unterzeichnete) vorschlägt, lautet: „Pilger der Hoffnung: Das Geschenk des Lebens“. Papst Franziskus beginnt seine Botschaft mit den Worten: „Am 62. Weltgebetstag um geistliche Berufungen möchte ich euch herzlich einladen, Pilger der Hoffnung zu sein und das Leben großzügig zu schenken.“

„Das Leben großzügig schenken“ – das ist das höchste Zeichen der Liebe: Das hat der Gute Hirte getan, und dazu sind auch alle berufen, die ihm nachfolgen.

Am letzten Sonntag hörten wir, wie Jesus dreimal zu Simon Petrus sagte: „Weide meine Lämmer“, als Zeichen seiner Liebe. Jesus übertrug Petrus seinen messianischen Titel als Hirte (Joh 21,15–19). Doch mit dem feierlichen „Folge mir nach“ (Joh 21,19) machte er ihm deutlich, dass seine Aufgabe immer nur eine stellvertretende sein würde. „Eine Herde und ein Hirte“ (Joh 10,16). Petrus – Hirte hinter dem Hirten – war dazu berufen, die ihm anvertraute Herde zu weiden, wie Jesus sein Leben zu geben und selbst zum geopferten Lamm zu werden. So tat es Petrus, so tat es Franziskus, und so wird es auch Papst Leo tun müssen.

Das Bild des Hirten hat eine lange und reiche biblische Tradition (besonders bei den Propheten und in den Psalmen), die im Neuen Testament wieder aufgegriffen wird: Jesus ist „der große Hirte der Schafe“ (Hebr 13,20). Es überrascht daher nicht, dass die erste Darstellung Jesu in den Katakomben die des „guten Hirten“ ist – Jahrhunderte vor der Darstellung des Gekreuzigten. Der Gute Hirte ist „die sanfte Version des Gekreuzigten“ – sanft nur im Bild, denn in der Tiefe ist es dieselbe Wirklichkeit (D. Pezzini).

2. Der SCHÖNE Hirte

„Ich bin der gute Hirte!“ – Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der griechische Ausdruck im Evangelium nicht agathós (gut), sondern kalós lautet – also „schön“. Wörtlich heißt es: „Ich bin der schöne Hirte.“

Das eröffnet eine neue Perspektive auf das Gute: Das Gute macht den Menschen schön, und die Schönheit ist ein Ausstrahlen des Guten (Platon). Jesus ist die Offenbarung nicht nur des Guten, sondern auch des Schönen.

Gott ist Liebe, weil er Schönheit ist, und er ist Schönheit, weil er Liebe ist.
„Schönheit und Güte gehen Hand in Hand. […] Im Alten Testament begegnet uns 741-mal das Adjektiv tôb, dessen Bedeutung zwischen ‚gut‘ und ‚schön‘ schwankt – Ethik und Ästhetik sind also zwei Seiten derselben Wirklichkeit.“ (Gianfranco Ravasi)

Die Welt braucht Schönheit.
„Die Menschheit verliert oft den wahren Sinn für Schönheit; sie lässt sich vom Spektakulären verführen und macht aus Schönheit ein Konsumgut, das unmittelbar verfügbar sein muss. Die Schönheit, die verklärt und gekreuzigt wurde, erlöst uns aus der Faszination des Vergänglichen.“ (Lucia Antinucci)

3. Der STARKE Hirte

Das heutige Evangelium ist sehr kurz – nur vier Verse – und steht nicht direkt im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom guten/schönen Hirten. Wir befinden uns in Jerusalem, beim Tempelweihfest. Es ist Winter, und Jesus geht im Tempel umher. Seine Gegner umringen ihn und fordern ihn heraus: „Wie lange noch hältst du uns hin? Wenn du der Christus bist, sag es uns offen!“ Jesus antwortet: „Ihr glaubt nicht, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört.“ (Joh 10,22–26)

Wir befinden uns also in einem angespannten, konfliktreichen Moment. Die Szene endet damit, dass die „Juden“ Jesus steinigen und festnehmen wollen (Joh 10,31.39).

Oft verbinden wir das Bild des guten Hirten mit der sanften Figur, die das verlorene Schaf sucht und es auf die Schultern nimmt (Lk 15,4–7). Diese Verbindung besteht zweifellos, aber hier geht es um eine dramatische Situation. Jesus spricht mehrfach in Kapitel 10 vom Lebengeben, vom Kampf gegen reißende Wölfe, von Räubern und Dieben.

Dazu braucht es einen starken Hirten. Stark wie der Hirte David, der Löwen und Bären bekämpfte, um seine Herde zu verteidigen (1 Sam 17,34–37).

Genau diesen Aspekt betont das heutige Evangelium besonders: „Ich gebe ihnen [meinen Schafen] das ewige Leben. Sie werden niemals verloren gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“
Jesus erklärt, warum wir in seiner Hand sicher sind: „Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Der Vater und ich sind eins.“

Oft fühlen wir uns von Problemen umzingelt, die uns den Frieden und die Lebensfreude rauben. Manchmal glauben wir, in einer Gesellschaft von „Dieben und Räubern“ zu leben, in der jeder seinen eigenen Vorteil sucht – das macht uns misstrauisch. Manchmal fühlen wir uns sogar gejagt von reißenden Wölfen, leben in Angst und Sorge.

Der starke Hirte versichert uns: Wenn wir ihm nachfolgen, kann uns nichts und niemand aus seiner Hand reißen. Der Glaube, das Vertrauen in ihn lässt uns mit dem heiligen Paulus ausrufen:
„Wer kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis? Not? Verfolgung? Hunger? Blöße? Gefahr? Schwert? (…) In alldem sind wir weit mehr als Sieger durch den, der uns geliebt hat. Ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe noch der Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf wird uns scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,35–39)

P. Manuel João Pereira Correia, mccj